Die Porzellan-Industrie in Thüringen
VON DR. PHIL. H. SENHOLD, SYNDIKUS DER MITTELTHÜRINGISCHEN INDUSTRIE- UND HANDELSKAMMER IN WEIMAR
Die Anfänge der Porzellanfabrikation in Thüringen reichen bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück. Nachdem verschiedene Gründungsversuche, von denen der früheste bereits in das Jahr 1718 fällt und in Saalfeld unternommen wurde, gescheitert waren, wurde im Jahre 1760 von Georg Heinrich Macheleid, einem früheren Kandidaten der Theologie, der sich auch mit chemischen Studien befaßt hatte, in Sitzendorf im Schwarzatal, die erste thüringische Porzellanfabrik gegründet, die ein Jahr später nach Volkstedt bei Rudolstadt verlegt wurde. Die günstige Entwicklung des jungen Unternehmens gab bald Anlaß zu weiteren Gründungen.
Bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts waren in Thüringen bereits zwölf Porzellanfabriken entstanden, die fast ausnahmslos noch heute bestehen, wenn sie in der Zwischenzeit auch mehrfach ihren Besitzer gewechselt haben. Neben dem bereits genannten Georg Heinrich Macheleid hat sich um die Einführung der Porzellaníndustrie in Thüringen besonders der aus der alten Glasmacherfamilie der Greiner stammende Gotthelf Greiner zu Limbach verdient gemacht, der ebenso wie Macheleid unabhängig von Böttchers Entdeckung in Thüringen das Porzellan erfunden haben soll.
Wenn in verhältnismäßig kurzer Zeit die Porzellanindustrie in Thüringen eine solche Ausdehnung gewinnen konnte, so lag dies in den günstigen Vorbedingungen begründet, die im Lande dafür gegeben waren. Wichtig war zunächst das Vorkommen der für die Herstellung von Porzellan unerläßlichen Rohmaterialien: Porzellansand, Feldspat und Quarz, die an verschiedenen Orten Thüringens gefunden werden. Von noch größerer Bedeutung war es, daß bei dem großen Waldreichtum des Landes der sehr erhebliche Bedarf der Porzellanindustrie an Brennmaterial mit Leichtigkeit zu decken war. Die Heranziehung oder Gewinnung geeigneter Arbeitskräfte aber, die eine weitere Voraussetzung für die Einführung einer neuen Industrie bildet, konnte keinerlei Schwierigkeiten bieten in einem Lande, dessen Bevöltkerung, besonders in den gebirgigen Teilen, in dürftigen Verhältnissen lebte und sich gern einer Beschäftigung zuwandte, bei der sie gegen an.gemessene Entlohnung die ihr angeborene Anpassungsfähigkeit und Arbeitsgeschicklichkeit voll zur Geltung bringen konnte.
Auch die Landesherren, denen es nicht unwillkommen sein durfte, wenn im Lande neue Verdienstmöglichkeiten geschaffen wurden, förderten die junge Industrie durch Gewährung von Privilegien aller Art in jeder Weise und halfen der einen oder anderen Fabrik auch wohl durch Hergabe von Darlehen oder durch Erlaß oder Stundung der Holzkaufgelder über schwierige Jahre hinweg. Solche Jahre stellten sich frühzeitig für die junge thüringische Porzellanindustrie ein. So hatte sie zeitweise empfindlich unter Absatzstockungen zu leiden, die in der Hauptsache auf Zollmaßnahmen der Nachbarländer zurückzuführen waren. Auch Preisunterbietungen und andere Auswüchse des freien Wettbewerbs machten ihr wiederholt zu schaffen und wurden Anlaß, daß im Jahre 1814 eine Reihe Thüringer Fabriken eine Vereinbarung trafen, um den Preisunterbietungen und Auswüchsen einer zügellosen Konkurrenz Einhalt zu tun. Ob diese Vereinbarung, die den ersten Versuch einer Kartellierung in der Porzellanindustrie darstellt, wirklich in Kraft getreten ist und ob sie sich bewährt hat, ist nicht bekannt geworden. Die Absatzstockungen dauerten niemals lange an und wurden in der Regel durch Hebung der Ausfuhr überwunden.
Ganz im Anfang beschränkten sich die ersten in Thüringen begründeten Fabriken im wesentlichen auf die Fabrikation von gewöhnlichem und besserem Geschirrporzellan, die auch heute noch einen wichtigen Zweig der Thüringer Porzellanindustrie bildet. Angefertigt wurden und werden u.a. Kaffee- und Teekannen, Milchtöpfe, Teller, Tassen, Becher, Butterbüchsen, Zuckerdosen, Waschschalen und Waschgarnituren, ganze Kaffee-, Tee- und Speiseservice usw., die bald weiß, blau, bunt oder in eigenen oder selbständigen Porzellanmalereien bemalt (dekoriert) in den Verkehr gebracht werden.
Sehr zeitig nahmen aber doch auch manche Fabriken die Anfertigung von Figuren, Büsten, Tieren, Tiergruppen, Nachbildungen klassischer Kunstwerke usw. auf und brachten es darin zu sehr beachtenswerten Leistungen. Besonderer Wertschätzung erfreuten sich anscheinend die Erzeugnisse der ältesten, im Jahre 1767 gegründeten Gothaer Fabrik, die, soweit sie erhalten sind, auch jetzt noch einen hohen Sammlerwert besitzen. Heute bildet die Fabrikation dieses sogenannten Luxusporzellans, die allerdings nicht nur Luxuswaren im engeren Sinne, sondern auch Bedarfs- und Gebrauchsgegenstände aller Art wie Vasen, Bonbonnieren, Heiligenartikel, Spielwaren, Puppenköpfe, Pfeifenköpfe, Orientartikel, Apothekerwaren, wie Salbenkruken, Schalen, Mörser usw. usw. umfaßt, den wichtigsten Zweig der thüringischen Porzellanindustrie und hat auch auf dem engeren kunstgewerblichen Gebiete durch Hervorbringung hochwertiger Kunstgegenstände große Erfolge aufzuweisen.
Auch der dritte Zweig der Porzellanindustrie, die Fabrikation von elektrotechnischen Bedarfsartikeln aller Art aus Porzellan, der sich die Thüringer Industrie alsbald nach dem Eintritt des Zeitalters der Elektrizität mit großem Erfolg zuwandte, hat im Lande Eingang gefunden.
Leistungsfähige, weltbekannte Unternehmen stellen nicht nur Hochspannungs- und Niederspannungsisolatoren, sondern auch Schaltersockel, Sicherungsdosen, Fassungen und Stanzartikel ähnlicher Art in größten Mengen für den Absatz im Inlande und im Auslande her. Unter den Erzeugnissen der Geschirrporzellanfabrikation bildeten in früheren Jahren lange Zeit einen sehr bedeutenden und lohnenden Ausfuhrartikel die sogenannten „Türken-Koppchen“, die ungeachtet der Zollschranken, die auch den innerdeutschen Verkehr erschwerten, und trotz der sonstigen, in den politischen Verhältnissen des alten deutschen Bundes begründeten Hindernisse ihren Weg in das Ausland fanden.
Die Gründung des „Zoll- und Handelsvereins der Thüringer Staaten“ am 10. Mai 1833, der schon tags darauf seinen Beitritt zum deutschen Zollverein vollzog, brachte endlich die Beseitigung der innerdeutschen Zollschranken, der Einfuhrlizenzen, die sich die Regierungen verschiedener deutscher Länder teuer bezahlen ließen, und mancher anderen dem freien Verkehr entgegenstehenden Hindernisse und sicherten den Erzeugnissen der Thüringer Porzellanindustrie einen ausgedehnten inneren Markt, dessen Bedeutung in dem Maße wuchs, als das Porzellan infolge seiner Billigkeit die Geräte aus Zinn und die Erzeugnisse der Töpferei auch aus den ärmeren Haushaltungen verdrängte und sich an ihre Stelle setzte.
Die gesteigerte Nachfrage reizte naturgemäß zur Errichtung zahlreicher neuer Unternehmen auch in Thüringen, die durch Hervorbringung neuer Artikel, durch weitgehende Spezialisierung, durch Verbesserung der Fabrikationsmethoden neben den alten Fabriken auf dem lnlandsmarkt und in den ausländischen Absatzgebieten Fuß zu fassen wußten.
Um die Wende des 19. Jahrhunderts nahm Thüringen unter den deutschen Ländern in bezug auf die Herstellung von Porzellanwaren aller Art unzweifelhaft den ersten Platz ein. Nach der vorletzten Gewerbe- und Betriebszählung, die am 5. Juni 1907 stattfand, wurden gezählt:
Betriebe zur Herstellung von Porzellan und Spielwaren aus Porzellan:
|
Zahl der Ge- |
Haupt- |
Neben- |
Gewerbstätige |
|
werbebetriebe |
Betriebe |
Personen |
Deutsches Reich |
1739 |
1655 |
84 |
52845 |
Thüringen |
937 |
911 |
26 |
18925 |
Von der Gesamtzahl der im Reich gezählten Betriebe entfielen also auf das Land Thüringen (ohne Koburg) 937 Betriebe oder 54 Prozent und von der Gesamtzahl der in diesen Betrieben beschäftigten Personen auf Thüringen 18925 oder 36 Prozent.
Die Entwicklung der Thüringer Porzellanindustrie, die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt, ist um so bemerkenswerter, als sich die ursprünglichen Produktionsbedingungen nicht unwesentlich verschoben und zum Teil wesentlich verschlechtert haben. Schon längst ist die Porzellanindustrie von der Holzfeuerung zu der Verwendung der Kohle als Brennmaterial übergegangen, die von den Thüringer Fabriken im wesentlichen aus Sachsen und Böhmen bezogen wird. Was noch an Porzellanerde, an Feldspat und Quarz in den heimischen Gruben gewonnen wird, reicht quantitativ und qualitativ auch nicht annähernd zur Deckung des um das vielfache gestiegenen Bedarfs aus, und schon seit vielen Jahren müssen Kaolin, Feldspat und selbst reiner Quarz von auswärts, zum Teil sogar aus dem Auslande, aus Böhmen, Schweden, England usw. bezogen werden.
Demgegenüber verfügt allerdings die thüringische Industrie heute über langjährige technische und kaufmännische Erfahrungen der Unternehmer und vor allem über einen durch Arbeitsgeschicklichkeit ausgezeichneten und in jahrhundertelanger Übung geschulten, seßhaften Arbeiterstamm.
Die Stellung der thüringischen Porzellanindustrie hat auch der Weltkrieg und die Nachkriegszeit nicht wesentlich erschüttern können.
Ausfuhr von Porzellan |
1912 |
1913 |
1924 Jan./Dez. |
1925 Jan./Dez. |
dz |
Wert in Mark |
dz |
Wert in Mark |
dz |
Wert in Mark |
dz |
Wert in Mark |
Porzellanisatoren für Telegraphen- oder Fernsprechleitungen, auch in Verbindung mit anderen Stoffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |
73 016 |
4 800 000 |
96 861 |
6 440 000 |
69 638 |
5 331 000 |
31 477 |
2 702 000 |
Porzellan, weiß: Tafelgeschirr und andere Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |
26 538 |
2 834 000 |
22 812 |
2 696 000 |
5 912 |
948 000 |
7 152 |
1 241 000 |
Porzellan, farbig weiß und farbig in Verbindung mit anderen Stofen: Tafelgeschirr . . . . . . |
337 751 |
31 605 000 |
352 155 |
31 918 000 |
382 571 |
49 810 000 |
175 314 |
23 408 000 |
Ziergefäße, Figuren und ähnliche Luxusgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |
64 633 |
10 472 000 |
71 758 |
11 946 000 |
26 674 |
8 798 000 |
14 031 |
5 374 000 |
Porzellanknöpfe, Tabakpfeifenköpfe u. a. Porzellanwaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |
18 577 |
2 603 000 |
36 838 |
4 026 000 |
17 289 |
2 501 000 |
10 734 |
1 627 000 |
Apparate und Instrumente zu chem. Zwecken aus Steingut, feinem Stein- und Tonzeug, Porzellan, auch in Verbindung mit Stoffen aller Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |
|
|
|
|
1 526 |
563 000 |
156 |
82 000 |
Scherben, Bruch von Ton- und Porzellanwaren |
92 031 |
146 000 |
81 183 |
91 000 |
70 927 |
130 000 |
77 763 |
101 000 |
|
612 546 |
52 460 000 |
661 607 |
57 117 000 |
574 537 |
68 081 000 |
316 657 |
34 535 000 |
Nach einer Statistik, die die der Gewerbeaufsicht unterstellten Betriebe umfaßt, gab es im Jahre 1921 im Deutschen Reiche:
|
Zahl der Betriebe |
Zahl der darin be-
schäftigten Personen |
Betriebe der Pozellanherstellung und Veredelung (Malerei) |
356 |
52557 |
Hiervon entfallen auf Thüringen |
155 |
17345 |
oder zirka 40 Prozent der Betriebe und etwa 34 Prozent der beschäftigten Personen.
Wie vor dem Kriege so nimmt das Ausland auch gegenwärtig wieder einen erheblichen Teil der Erzeugung der deutschen Porzellanindustrie auf, wenngleich sich der Wettbewerb- der während des Krieges und nach dem Kriege in anderen Ländern entstandenen Porzellanindustrie stark bemerkbar macht. So hat die Geschirrporzellanindustrie vor allem gegen den japanischen Wettbewerb anzukämpfen, während in der Fabrikation von elektrotechnischen Artikeln, insbesondere von Isolatoren, die Vereinigten Staaten von Amerika gewaltige Fortschritte gemacht haben.
Die nebenstehende Tabelle zeigt die Ausfuhr nach der deutschen Außenhandelsstatistik.
Von der Porzellanwarenausfuhr des Reiches wird man der Menge nach für die thüringische Industrie etwa den dritten Teil und dem Werte nach etwas mehr als den dritten Teil in Anspruch nehmen dürfen. Die Gegenüberstellung der Ausfuhrposten der Jahre 1912 und 1913 und derjenigen der Jahre 1924 und 1925 aber zeigt, daß die Porzellanindustrie besser wie die große Mehrzahl der anderen Industrien des Reiches sich auf dem Auslandsmarkte hat behaupten können, wodurch der Beweis erbracht sein dürfte, daß die Grundlagen der Industrie, die die Stürme des Weltkrieges und der Nachkriegszeit ohne tiefgreifendere Spuren hat überstehen können, gesichert sind und daß ihr Aufbau gesund ist. Es besteht deshalb begründete Hoffnung, daß insbesondere die thüringische Porzellanindustrie sich auch in Zukunft nicht nur im Inlande, sondern auch auf dem Weltmarkt behaupten wird, sofern sie zu Bedingungen zugelassen wird, die nicht ungünstiger sind als die der ausländischen Konkurrenzindustrie.